15.09.2010

O daddy, where art thou? Oder: Ich kenne meinen Vater nicht



Ich bin ohne Vater aufgewachsen und kenne ihn bis heute nicht persönlich. Das ist ein Thema, das ganz tief in meiner Seele sitzt und an mir nagt. Das hat es irgendwie schon immer. Mittlerweile kann ich gut darüber reden und breite es hiermit auch in die unendlichen Weiten des WWW aus. Vielleicht finden andere Suchende so diesen Text und fühlen sich bestärkt.
 

Ich bin Anfang der Achtziger Jahre in einer Kleinstadt in der DDR geboren worden und dort aufgewachsen. Meine Mutter war alleinerziehend mit zwei Kindern und berufstätig als Erzieherin. Damals ging das irgendwie und war auch nicht so ungewöhnlich. Es war allgemein erwünscht, dass Frauen berufstätig waren und das wurde auch gefördert. Außerdem waren da noch meine Großeltern, meine Tanten und Cousinen und Cousins, die alle in der selben Stadt wohnten und mit denen ich mich bis heute sehr gut verstehe.

Trotzdem hat für mich immer was gefehlt. In der Schule hab ich die Kinder immer beneidet, die stolz erzählten, was ihr Papa so macht. Ich hatte immer das Gefühl, es sei ein persönlicher Makel und mein Fehler, dass ich eben "keinen" Papa hatte und nichts erzählen konnte. Ich hab mich geschämt.
Ab und an kamen auch doofe Fragen oder Kommentare oder komische Blicke, wenn ich davon erzählt habe. Einmal meinte ein Mädchen zu mir, dass ich dann ja wohl aus dem Reagenzglas kommen müsse, wenn ich keinen Vater habe. Eine Lehrerin schnauzte mich an, dass das ja wohl nicht sein könne und jeder einen Vater habe, als es darum ging, dass jeder in der Klasse seinen Familienstammbaum zeichnen sollte.
Natürlich hab ich dann meine Mutter gefragt, wer denn nun mein Vater sei, weil jeder müsse ja einen haben. Sie hat aber immer nur ausweichend geantwortet.
Tja und weil ich leider mit ausschweifender Fantasie und Sensibilität geschlagen bin, hab ich mir viele Gedanken darum gemacht, aber es gab nur offene Fragen und somit eine offene Wunde in meiner Psyche. Spätestens als Teenager waren für mich tiefgehende Fragen wichtig - wer bin ich und wenn ja wieviele wo komm ich her und der ganze Kram. Ich bin ein Mensch der Wurzeln braucht und halt, diese fehlten mir aber zur Hälfte.

Erst mit Mitte zwanzig und nach dem ich einige Zeit schon zu Hause ausgezogen war und weit weg von meiner kleinen Stadt lebte, konnte ich es nochmal ernsthaft angehen.
Zuerst befragte ich meine Oma und meine Tante. Sie konnten ein bißchen was zusammentragen und erzählten mir was sie wußten: mein Vater war etwa 18 oder 19 und lebte in einem Heim. Meine Mutter arbeitete damals in diesem Kinderheim und war 21 Jahre alt. Mein Vater war also eine Art Schutzbefohlener von ihr und im Nachhinein betrachtet kam mir der Gedanke, dass es wahrscheinlich nicht gerade förderlich für sie gewesen wäre, wenn diese Sache öffentlich geworden wäre.
Wie auch immer, laut meiner Oma, war er ein netter Mensch (kein Schläger oder Alkoholiker was in meiner Vorstellung ja alles möglich gewesen war, weil ich nichts wußte). Er war auch einige Male bei meinen Großeltern zu Besuch und angeblich auch im Krankenhaus kurz nach meiner Geburt.
Außerdem konnte meine Oma mir den Namen meines Vaters sagen: Hans-Jürgen S.

Ich kann sagen, nicht wie glücklich mich diese wenigen Fakten schon gemacht haben. Ein halbes Gebirge fiel mir vom Herzen. Endlich ein Name. Endlich eine Geschichte. Aber lange nicht genug um ihn zu finden. Denn meine Oma war sich mit der Schreibweise des Namens nicht sicher und wußte auch sonst keine Details wie z.B. das Geburtdatum.
Ein Jahr später hab ich all meine 'Chuzpe' zusammengenommen und meine Mutter noch einmal darauf angesprochen. Diesmal richtig ernsthaft und nicht so nebenbei wie sonst immer, wenn es z.B. darum ging den Vatersnamen für irgendein Formular zu erfragen. Da hatte sie immer nur gesagt: Vater unbekannt, schreib das hin. Nee, diesmal so richtig. Und ich mußte natürlich heulen wie ein Schloßhund, aber es war gut und ich war sehr erleichtert hinterher. Sie hatte nicht geahnt wie sehr mich das Thema belastet hatte. Und ich hatte solche Angst gehabt, sie würde ein weiteres Mal nicht auf mich eingehen.
Stattdessen war sie ganz verständnisvoll und auf meine Frage, wie er denn nun heißt, mein Vater, kam es ihr wie aus der Pistole geschossen, ganz selbstverständlich über die Lippen.
Man, das hätte ich nie gedacht. Ja und dann hab ich sie ausgefragt, nach allen Details, die mir irgendwie weiterhelfen könnten.
Ich weiß jetzt, wie das Kinderheim hieß. Ich schreib das hier auch mal hin, wer weiß, was für dumme Zufälle noch passieren und wer's liest: das Kinderheim heißt "Richard-Sorge" in Schluft einem Ortsteil von Straußberg bei Berlin. Mein Vater war von Oktober 1971 bis Juli 1983 dort und hat eine Schwester namens Sieglinde.

Ja das wars schon, ein Geburtsdatum hab ich leider nicht. Aber Hoffnung hab ich. Es gibt ein eigenes Forum für Ehemalige dieses Kinderheims.Wie der Zufall so will, hat sich mein Vater dort im Gästebuch verewigt. Leider konnte ich trotzdem noch keinen Kontakt herstellen.
Meine nächste Hoffnung ist eine Telefonbuchliste. Darauf stehen 13 Leute in Deutschland, wie so heißen wie er. Eine gute Freundin von mir hat sich bereit erklärt, diese für mich abzutelefonieren und somit den ersten Kontakt herzustellen, wenn er wirklich dabei ist.
Jetzt heißt es für mich erst einmal warten. Aber egal was dabei herauskommt. Es ist alles besser als diese quälende Ungewissheit und die vielen offenen Fragen die ich vorher hatte.

Ich hab hier viel von mir offenbart und einen gefühlten Roman geschrieben. Es wäre schön, eure Meinungen, Fragen und Kommentare dazu zu lesen.

8 Kommentare:

  1. Oh Gott, das mit dem Reagenzglas ist ziemlich dämlich. -.-
    Eine rührende Geschichte.. :O
    Aber toll, dass du eine kleine "Spur" von ihm hast :) Hoffentlich findest du ihn bald :)
    Halte uns auf dem Laufenden (sagt man das so? ;D)

    Liebe Grüße und viel Glück :*

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  2. Hallo,

    schön, dass Du endlich ein Stück weitergekommen bist. Ich weiß noch sehr gut, wie sehr dich das Thema während unserer gemeinsamen Ausbildung beschäftigt hat. Ich wünsche Dir viel Glück bei Deiner Suche und schicke viele liebe Grüße aus der "alten" Heimat! :D

    Lg, Ulrike

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  3. Hey, vielen Dank für eure Kommentare. Klar werd ich weiter hier darüber schreiben, wenn sich was Neues ergibt. Liebe Grüße zurück =)

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  4. Hallo,
    vielleicht kann ich ein wenig weiterhelfen:
    Der damalige Wohnort von Hans- Jürgen war Schwedt/ Oder.
    Dort besuchte er während seiner Kinderheimzeit immer seinen Vater.
    Viel, viel Glück!

    W.

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  5. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  6. Hallo, Hans - Jürgen hat im Gästebuch des Kinderheimes seine E-Mail Adresse hinterlegt,
    vielleicht klappt es ja jetzt mit dem Kontakt...

    Bin gespannt, wie es weiter geht,

    Gruß W.

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  7. hallo,
    deine geschichte berührt mich sehr, da es mir sehr ähnlich geht wie dir.
    ich hoffe, dass du bald kontakt zu deinem vater aufnehmen kannst! dieser wunsch ist so tief in einem verankert! ich denke, dass es eine der größten erleichterungen für dich sein wird, egal, ob sich dann eine engere bindung zwischen euch entwickelt oder nicht!
    viele grüße

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  8. Hallo,
    danke fürs Lesen =) Mittlerweile hat sich einiges geändert, ich hab meinen Papa übers Internet wiedergefunden. Guck einfach mal bei den Posts mit dem tag "Vatersuche".
    Ich wünsch dir auch alles Gute für deine eigene Geschichte =)

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